Mosel 2.0

Mosel 2.0 Carmen Sadowski

Was für ein Weinberg! Die traumhafte Aussicht ins Tal können die Winzer höchstens nach Feierabend genießen – so viel ist beim Anblick der Steillage sofort klar. An manchen Stellen scheinen die Parzellen fast senkrecht in den Himmel zu ragen.

Während sich Wanderer bei einer Tour durch den Calmont Klettersteig am Blick über die Mosel erfreuen und Touristiker mit Bilderbuch-Fotos der schroffen Hänge werben, machen die Weinbauern hier im Wortsinn den Buckel krumm. An den Einsatz von Maschinen ist bei Lagen mit bis zu 75 Grad Steigung nicht zu denken. Alles, was hier passiert, ist zu 100 Prozent Handarbeit. Selbst wenn ein Winzer ackert wie besessen, dauern sämtliche Arbeiten drei- bis viermal so lange wie in flachen Lagen. Man kann gar nicht so viele Hüte aufsetzen, wie man ziehen möchte vor Weinmachern wie Angelina und Kilian Franzen. Mit viel Liebe und Passion arbeitet das Paar im steilsten Weinberg Europas. Und zwar nicht nur, weil der Calmont eine Toplage, sondern weil der Weinanbau dort auch Familientradition ist.

Renaissance der Steillagen

Wie kaum ein anderer hat sich Kilians Vater Ulrich Franzen um die Region verdient gemacht. Ohne ihn wüchse am Calmont viel weniger Wein, weiter oben wohl eher gar nichts. Mit der Unterstützung des Kulturamtes in Mayen hatte Ulrich Franzen gegen Ende des vergangenen Jahrtausends 112 brach liegende Parzellen von etlichen Eigentümern zusammengekauft und die Wildnis beseitigt. Trockenmauern wurden gebaut, eine Monorackbahn installiert, etwa 7900 Rieslingreben in den Schieferboden gesetzt. Herausgekommen ist ein Wein, der nach Heimat schmeckt.

 

Die Weinberge von Kilian Franzen.

Das Projekt Calmont  – das ist Kulturpflege und hohe Qualität. Und dieses Projekt führen Angelina und Kilian Franzen seit 2010 erfolgreich weiter.
Die beiden studierten noch in Geisenheim als Ulrich Franzen verunglückte. Beide brachen ihr Studium ab, unterstützten zunächst Kilians Mutter Iris, und übernahmen mit gerade Mal Anfang 20 schließlich den fast 10 Hektar großen Betrieb.Sie schneiden, binden, lesen und füllen circa  60 000 Flaschen Wein pro Jahr. Ihre Hauptsorte ist der Riesling, daneben ziehen sie auch  Weißburgunder und Elbling groß. Ausgebaut werden die Weine in erster Linie trocken – dafür hatte schon Ulrich Franzen in den 80er Jahren gesorgt.Davon überzeugen können sich Besucher in der Vinothek. Hier kann man bei einer unterhaltsamen Verkostung mit regionaler Küche die Franzen-Weine probieren. Zum Beispiel den Bremmer Calmont Riesling (11,90 €), der beim Focus Weintest 2013 auf dem ersten Platz bei den trockenen Rieslingen landete. Oder den fruchtig-filigranen Neefer Frauenberg Riesling (11,90 €), laut Angelina der Wein, zu dem eher Frauen tendieren.

Traubenschleppen am Hang

Ein Etikett fällt besonders ins Auge. „Der Sommer war sehr gross“ steht dort geschrieben. Es ist die erste eigene Kreation von Kilian und seiner Frau Angelina, der Titel stammt aus einem Rilke-Gedicht.„Der Schriftzug verändert sich jedes Jahr, es ist Bewegung drin wie im Betrieb”, erklärt Angelina. Seit seinem Debüt 2011 erzählt ein beiliegender Flyer von der Entstehung des Rieslings ebenso wie vom ganz persönlichen Weinjahr der Erzeuger.

So erfährt der Leser zum Beispiel, dass die Monorackbahn pünktlich zur Lese im Oktober 2014 schlappmachte und Helfer 3000 Kilo Trauben den Hang runter schleppen mussten. Dass der Urlaub im Januar 2015 die beiden  nach La Gomera führten, wo Baumärkte Mangelware sind. Dass man in ein neues Flaschenlager investiert hat und – tatata! – dass man im August die neue Franzen-Generation erwarte.

Die inneren Werte der Flasche: 12 Prozent Alkohol, Restzucker 8 g. Die Trauben stammen aus dem Bremmer Calmont, den Lagen Kapplay, Neefer Frauenberg und Abtei Kloster Stuben. Gelesen wurde zu 100 Prozent mit der Hand. Natürlich.

Mosel 2.0